Thomas Schaffroth

2 avril 1952 - 24 avril 2014

En souvenir de notre compagnon, père, frère et ami

Chinesischer Drache mit mehreren Köpfen in Afrika

Anmerkungen zur Präsenz der Volksrepublik China auf dem Schwarzen Kontinent

Thomas Schaffroth
NZZ 28. Mai 2010

 

China versucht in verstärktem Mass, seinen Hunger nach Rohstoffen auf dem afrikanischen Kontinent zu stillen. Der Autor sieht darin keine Gefahr eines Neokolonialismus.

Thierry Bangui ist vor 33 Jahren in der Zentralafrikanischen Republik geboren worden. Nach dem Schulabschluss legte er an der Universität Aix-Marseille ein Doktorat in Urbanistik ab. Und heute leitet Bangui in Marseille ein Büro namens «T-Bangui Consulting, office of multidisciplinary studies of development». Er ist ein Unternehmensberater. Der bezüglich seines Lebenslaufes in Europa sicherlich relativ untypische Schwarzafrikaner hat soeben ein Buch mit dem Titel «La Chine, un nouveau partenaire de développement de l'Afrique» (L'Harmattan, 2009) veröffentlicht, das in der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich Aufsehen erregt. Der Autor versucht die Hintergründe zu erklären, die dazu geführt haben, dass Chinas Handel mit Afrika sich seit dem Jahre 2000 verfünffacht hat und im laufenden Jahr wertmässig den Afrikahandel der USA übertreffen könnte.

 

Freundschaft oder Interessen

Ein Blick auf den «Warenkorb» der chinesischen Importe zeigt klar auf, welches die geostrategischen Interessen des Reiches der Mitte in Afrika sind. 2008 waren wertmässig 62 Prozent der Importe Erdöl und Gas, 17 Prozent feste Rohstoffe wie Eisenerze oder Bauxit und der Rest agrarische Produkte wie Tabak, Baumwolle sowie Holz. Das einzige Land des afrikanischen Kontinentes, das in China Kapital investiert, ist Südafrika, insbesondere im Bereiche der Nukleartechnologie.

Als 2006 in Peking der erste afro-chinesische Gipfel stattfand, erklärte der chinesische Staatschef Hu Jintao vor 47 afrikanischen Staats- und Regierungschefs, China sei als Freund Afrikas «das mächtigste Entwicklungsland der Welt». Da ist der Präsident Senegals, Wade, prosaischer: «Zwischen Ländern gibt es nicht Freundschaften, sondern nur Interessen.» Und China ist in erster Linie an den Rohstoffen Afrikas interessiert und exportiert ausschliesslich verarbeitete Ware. Bloss 14 von 53 afrikanischen Staaten weisen mit China kein Handelsdefizit auf. Und die Volksrepublik ist heute nach der EU der zweitwichtigste Handelspartner Afrikas, vor den USA und Japan.

Offiziell verfolgt China eine Wirtschaftspolitik nach der Doktrin der Nichteinmischung in die Innenpolitik afrikanischer Staaten. Fragen wie Demokratie, Menschenrechte oder beispielsweise die Umweltverträglichkeit von Grossbauprojekten interessieren die Kreditgeber in Peking nicht. Und wenn die Weltbank, wie kürzlich im Fall Angolas, einem Staat, in welchem Korruption grassiert, Kredite verweigert, dann springt China ein.

Thierry Bangui weiss aus eigener Erfahrung, dass Korruption in Afrika eine grosse Seuche ist. Gleichzeitig ist er aber davon überzeugt, dass nur eine vom Ausland unterstützte wirtschaftliche Entwicklung den Kontinent vorwärtsbringen kann. «Für viele Afrikanerinnen und Afrikaner ist das Reich der Mitte heute ein bewundertes Beispiel dafür, wie mit Arbeit die Unterentwicklung überwunden werden kann. Zudem hat China heute für Entwicklungsprojekte monetäre Reserven, die der tief verschuldete Westen nicht mehr besitzt», meint Bangui.

Wie der Westen oder Russland, so interessiert sich auch China nicht dafür, wer beispielsweise von den Erdölverkäufen profitiert. Angola ist nach Saudiarabien wertmässig für die Volksrepublik der zweitwichtigste Erdöllieferant. 2008 lebten aber über 60 Prozent der Angolaner unter dem Existenzminimum von einem Dollar pro Tag.

Die Volksrepublik China wird für andere Regionen, die in Afrika wirtschaftliche Interessen haben, zum Konkurrenten. Der chinesische Wirtschaftserfolg auf dem afrikanischen Kontinent wird vom Afrika-Verantwortlichen des französischen Unternehmerverbandes Medef wie folgt beschrieben: «Der chinesische Staat bringt Finanzen, Unternehmen und Arbeitskräfte. Sie bieten unter sehr vorteilhaften Bedingungen ein <package complet> an.» Die Direktinvestitionen Chinas in Afrika sind verglichen mit seinem Engagement auf anderen Kontinenten noch gering. Sie betrugen 2008 bloss 5 Prozent, während sie beispielsweise in Nordamerika 32 Prozent und im asiatischen Raum 56 Prozent ausmachten.

 

Wettlauf mit dem Westen

Bangui meint zum chinesischen Engagement: «Heute haben wir einen Tausch von Erdöl gegen Infrastrukturbauten wie Strassen und Schulen, von denen die ganze Bevölkerung profitieren kann. Vor wenigen Jahrzehnten hatte der Westen die afrikanischen Diktatoren mit Devisen bezahlt, die dann nicht selten auf Schweizer Banken angelegt wurden.» Für den afrikanischen Wirtschaftsberater bringt die heutige Marktkonkurrenz zwischen dem Westen und China bloss Vorteile für den Schwarzen Kontinent, obwohl er weiss, dass beispielsweise billige chinesische Textilimporte in den Maghreb-Staaten und in Südafrika in den letzten Jahren Tausende von Arbeitsplätzen zerstört haben.

Ersucht beispielsweise ein Drittweltland die Weltbank um Unterstützung für Infrastrukturprojekte, so verlangt diese Institution, dass die Projekte weltweit öffentlich ausgeschrieben werden. Dieser Prozess kann sehr lange dauern. China reagiert hingegen sehr schnell, und seine Kostenvoranschläge sind in der Regel um einen Drittel billiger als westliche. Dies ist auch eine der Erklärungen dafür, weshalb das Reich der Mitte im Wettbewerb mit dem Westen in Afrika oft gewinnt.

Nebst den Textilexporten und den Investitionen in Infrastrukturbauten entwickeln chinesische Firmen auch Fabriken und Anlagen im Hightech-Bereich. In Staaten wie Benin, Niger und Togo hat China in den letzten Jahren einen Grossteil des Telekommunikationssystems entwickelt. Im Übrigen hinterlässt das Engagement der Volksrepublik in Afrika auch Spuren im Mittelmeerraum. So gehören beispielsweise mehrere marokkanische Textilunternehmen Chinesen. Und sie können davon profitieren, dass Marokko mit der EU ein Spezialabkommen für Textilexporte unterzeichnet hat.

Im 15. Jahrhundert hat zum ersten Mal eine chinesische Flotte in Afrika angelegt. Die chinesischen Kaiser zeigten aber während Jahrhunderten weder politisch noch wirtschaftlich grosses Interesse am Schwarzen Kontinent. Das änderte sich erst im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Kalten Krieges und dem Bruch zwischen China und der damaligen Sowjetunion. Allerdings hatte China in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Entwicklungsland nicht das wirtschaftliche Potenzial der Sowjetunion. Und der Maoismus war nicht eine Ideologie, an welcher sich afrikanische Potentaten erwärmen konnten. Dies änderte sich erst, als Ende der siebziger Jahre unter Deng Xiaoping China nicht mehr Klassenkampf und Revolution, sondern Marktwirtschaft mit chinesischen Vorzeichen zu exportieren begann. Eine nicht unwichtige Voraussetzung dafür, dass dieses Ansinnen gelingen konnte, war allerdings die Tatsache, dass die Volksrepublik China die afrikanischen Unabhängigkeitskämpfe seit der eigenen Revolution unterstützt hatte.

Als 1955 in Bandung die Organisation der blockfreien Staaten gegründet wurde, war China einer der wichtigsten Geburtshelfer. Dieses politische Netz war für die Volksrepublik auch wichtig, um Taiwan international zu isolieren. Innerhalb internationaler Organisationen wie der Uno sind heute die meisten afrikanischen Staaten zuverlässige Partner Chinas. 53 afrikanische Staaten pflegen diplomatische Beziehungen mit Peking und bloss 4 ziehen weiterhin Taiwan als Vertreter Chinas vor (São Tomé, Gambia, Swasiland und Burkina Faso).

China hält sich aus der afrikanischen Politik raus. Während der Sudan von der internationalen Gemeinschaft wegen der Darfur-Krise politisch und wirtschaftlich boykottiert wird, hat sich China als einziger Staat im Uno-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über einen totalen Waffenausfuhrstopp enthalten. Denn 10 Prozent der gesamten chinesischen Erdölimporte stammen aus dem Sudan. In internationalen Gremien hat das sino-afrikanische Bündnis bei Abstimmungen ein grosses Gewicht.

Es leben heute in Afrika mindestens eine Million Chinesen. Genaue Zahlen sind schwierig zu erhalten. Hinzu kommen mehrere zehntausend Arbeiter, die während der Zeit, in welcher ein staatliches oder privates chinesisches Unternehmen ein Projekt realisiert, in Afrika bleiben und anschliessend meistens wieder zurückkehren. Im Vergleich zu rund einer Milliarde Menschen, die in Afrika leben, umfasst die chinesische Einwanderung nur eine kleine Minderheit, auch wenn diese in gewissen Gewerbesektoren (Gastgewerbe, Handel mit Haushaltsgeräten) eine wichtige Rolle spielt.

Relativ genaue Untersuchungen gibt es darüber, weshalb ein Chinese oder eine Chinesin nach Afrika emigriert. Die Auswanderung nach Afrika umfasst hauptsächlich Bevölkerungsschichten, die auf dem Lande leben und für welche die Berufsperspektiven in der Heimat nicht rosig sind. Verdienen sie zu Hause im Monat allenfalls umgerechnet 60 Euro, so locken in Afrika Löhne um die 400 Euro. Die Arbeitsverträge sind allerdings zeitlich oft limitiert. Es gibt aber auch Chinesen, die in Afrika weiterhin als Bauern arbeiten. Beispielsweise in Simbabwe, wo chinesische Immigranten auf Plantagen beschäftigt sind, die früher Kolonialisten gehört hatten und heute entweder von der einheimischen Oberschicht oder dem Staat besessen werden.

 

Kein Neokolonialismus

China überschwemmt den afrikanischen Kontinent mit billigen Konsumgütern, vor allem aus dem Textilsektor. In Staaten wie Senegal, Südafrika und Kamerun ist es schon verschiedentlich zu zum Teil rassistischen Protesten gegen die chinesische Bevölkerung gekommen. Denn die einheimischen Produzenten können mit der chinesischen Konkurrenz nicht mithalten In Sambia kandidierte bei den letzten Präsidentschaftswahlen (2008) ein Kandidat mit dem Motto «Chinese go home!». Chinesische Investoren und ihre afrikanischen Partner können latente, oft rassistisch geprägte Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den asiatischen Zuwanderern kaum übersehen. Wohl aus diesem Grund hat die Volksrepublik China vor zwei Jahren mit der Regierung Angolas ein Memorandum unterzeichnet, das vorschreibt, dass 30 Prozent der chinesischen Investitionen bei Infrastrukturprojekten lokalen Baufirmen überlassen werden müssen. Das zentrale Problem für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung Afrikas liegt aber anderswo. Solange mit chinesischem Kapital und praktisch ausschliesslich mit chinesischer Arbeitskraft Rohstoffe abgebaut werden und deren Verarbeitung sich hauptsächlich in China vollzieht, kann Afrika wenig Gewinn aus dem eigenen Reichtum schlagen. Denn auch der Mehrwert wird vom Reich der Mitte einkassiert.

Auf die Frage, welche Unterschiede zwischen der Ausbeutungsart des Westens und derjenigen Chinas in Afrika bestehen, antwortet der westafrikanische Investitionsberater Thierry Bangui: «Ich meine, dass China sich in Afrika nicht schlechter verhält als der Westen, der seit Jahrhunderten unseren Kontinent ausbeutet. Die chinesischen Firmen zerstören sicherlich nicht im gleichen Umfang wie der Westen die afrikanische Umwelt bei ihrer Suche nach Rohstoffen. Ein Unterschied besteht aber sicher darin, dass die westlichen Medien über den Raubbau, den Firmen wie beispielsweise Total in Kongo-Brazzaville oder Shell in Nigeria betreiben, kaum berichten!»

Es gibt heute in ganz Afrika um die 900 chinesische Unternehmen. Das entspricht der Zahl der chinesischen Betriebe im Stadtstaat Singapur, um die Dimension des bis anhin kapitalmässig relativ kleinen Engagements Chinas in Afrika in einen Rahmen zu stellen. Es ist deshalb eine Fehlanalyse, das Verhältnis Chinas zu Afrika mit dem Begriff Neokolonialismus zu umschreiben. Vor allem auch deshalb, weil die unter diesen Begriff subsumierten Abhängigkeits-Strukturen für die Charakterisierung der bilateralen Beziehungen zwischen Afrika und China kaum zutreffen. Das bilaterale Handelsvolumen betrug im Jahr 2008 kaum 5 Prozent des gesamten Handelsvolumens Chinas.

Die Volksrepublik China ist heute Teil der globalen kapitalistischen Marktwirtschaft. Und ein Grossteil der afrikanischen Bevölkerung bewundert die Art und Weise, wie das Reich der Mitte innerhalb von rund einem Vierteljahrhundert von einem Entwicklungsland zu einer der mächtigsten Wirtschaftsmächte der Welt geworden ist.